Ich habe immer nur dich geliebt

Ich habe immer nur dich geliebt

Es war ein eiskalter Morgen Ende Januar, als Michael und Thomas zur Frühschicht die Basis betraten. Das B Team hatte die Nachtschicht gehabt und war froh, dass die Schicht bald um war. Gabi, Biggi und Ralf saßen gerade an dem runden Tisch im Aufenthaltsraum und tranken eine Tasse Kaffee, um ein wenig wach zu werden, als ihre beiden Kollegen gerade in den Aufenthaltsraum traten. „Morgen“, begrüßte Thomas das B Team, wobei sein Blick unvermeidlich auf Biggi fiel. Die Pilotin sah jedoch schnell nach unten. Zu sehr wurde sie wieder an die Vergangenheit erinnert, wie jedes Mal bei Thomas’ Anblick. Auch dem Piloten ging es so. Er schluckte nur und verschwand dann schweigend mit Michael in der Umkleide. Gabi hatte die Szene mitbekommen, doch sie sagte nichts, sie wusste, dass Biggi die ganze Sache schon schwer genug fiel. Da wollte sie ihre beste Freundin jetzt nicht noch unnötig damit konfrontieren und es ihr noch schwerer machen. Wie oft hatte sie Biggi in den letzten Monaten trösten müssen… Die Notärztin hoffte so sehr, dass ihre beste Freundin endlich über die Trennung von Thomas hinwegkommen würde, doch es schien beinahe aussichtslos.

Dem Piloten ging es nicht anders. Er stand schweigend vor seinem Spind und betrachtete ein Foto von Biggi, das auf der Innenseite seiner Spindtür hing – sein Lieblingsfoto. Er hatte es nie abgenommen. Er wusste nicht genau, was es war, aber irgendetwas hinderte ihn daran. Natürlich liebte er Biggi noch immer, noch genauso wie am ersten Tag, doch hatte er sie nicht schon längst für immer verloren? War er nicht an allem schuld? Dran, dass sie sich von ihm getrennt hatte auf jeden Fall, dessen war Thomas sich sicher. Er bereute sein Verhalten von damals so sehr, doch nun war es zu spät, nun war Biggi mit diesem Anwalt zusammen… Axel oder wie er noch gleich hieß. Thomas hasste diesen Mann, er hasste ihn und noch viel mehr hasste er es, ihn mit Biggi zusammen zu sehen, mit seiner Biggi, die wahrscheinlich nie wieder seine Biggi sein würde, dessen war Thomas sich sicher.

Nachdem er und Michael fertig umgezogen waren, konnten Gabi und Biggi sich umziehen gehen. Sie waren froh, dass ihre Schicht um war und die Kollegen sie ablösten. Nur Peter fehlte noch, daher musste Ralf noch ein wenig warten.

In der Umkleide ließ Biggi sich erschöpft auf die Bank sinken. „Hey, was ist denn los mit dir?“, fragte Gabriele ihre beste Freundin ein wenig besorgt und setzte sich neben sie. Biggi seufzte leise. „Ich halte es einfach nicht mehr aus, Thomas jeden Tag gegenübertreten zu müssen. Ich will ihn vergessen, aber ich kann nicht, verstehst du? Der Schmerz sitzt einfach viel zu tief.“ Gabi nickte. „Du liebst ihn noch immer, oder?“, fragte sie vorsichtig, obgleich sie die Antwort eigentlich bereits kannte. Biggi nickte. „Ja, ich liebe ihn noch immer. Sehr sogar. Aber es hat doch keinen Sinn, es ist aus zwischen uns und das jetzt schon seit vier Monaten. Ich muss mich endlich damit abfinden.“ „Und wenn du noch mal mit Thomas redest?“, versuchte Gabi ihre Freundin aufzumuntern. Sie glaubte fest daran, dass es noch eine Chance für Biggi und Thomas gab. Doch würde sie auch Biggi davon überzeugen können? „Das haben wir doch schon so oft versucht, aber es hat immer im Streit geendet. Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll. Ich liebe Thomas, doch wenn ich nicht mit ihm zusammen sein kann, dann ist es jedes Mal eine Qual für mich, wenn wir uns sehen und uns dann doch wieder nur aus dem Weg gehen. Was würde ich dafür geben, wenn ich einfach die Zeit um vier Monate zurückdrehen könnte? Wir waren doch so glücklich damals, bevor…“, Biggi musste sich bemühen die Tränen, die in ihre Augen stiegen, zurückzuhalten. Gabi nickte nur schweigend. Sie wusste selbst zu gut, dass Thomas und Biggi wirklich das Traumpaar Nummer Eins gewesen waren, bevor… ja, bevor Biggi Axel begegnet war. Für die Pilotin hatte von vorne herein festgestanden, dass sie den Anwalt nur freundschaftlich mochte, niemals hatte sie auch nur eine Sekunde an den Gedanken verschwendet, ihre Beziehung mit Thomas aufs Spiel zu setzen. Axel bedeutete ihr nichts und doch hatte sie sich einen einzigen Abend mit ihm getroffen, nur einen einzigen Abend, der alles verändert hatte. Thomas war furchtbar eifersüchtig gewesen. Biggi war damals deswegen ziemlich sauer auf ihn gewesen, da es für seine Eifersucht partout keinen Grund gegeben hatte, und gerade deshalb hatte sie beschlossen das Treffen, das sie eigentlich nicht ungern gegen einen gemütlichen Abend mit Thomas eingetauscht hätte, nicht abzusagen. Einfach nur um Thomas zu zeigen, dass sie machen konnte, was sie wollte, und vor allem jedoch, um ihm zu beweisen, dass seine Eifersucht absolut unberechtigt gewesen war. Doch ihr Versuch war total nach hinten losgegangen. Thomas hatte es nicht eingesehen, sondern im Gegenteil. Er hatte sie beschuldigt, sie würde ihn betrügen und sich regelrecht in diese Vorstellung hineingesteigert. Er war fürchterlich eifersüchtig gewesen. Er liebte Biggi, seine Biggi und niemand anders durfte auch nur einen Abend mit ihr verbringen, schon gar nicht dieser Anwalt, von dem Thomas den Verdacht hatte, dass er es auf Biggi abgesehen hatte, auf seine Biggi. So war es zum Streit gekommen und Biggi hatte sich von Thomas getrennt, der in seiner Eifersucht nur so getobt hatte. Sie hatte sich daraufhin in die Arme von Axel geflüchtet, allerdings nur als guter Freund, niemals mehr. Sie hatte eben einfach eine Schulter zum Ausweinen gebraucht, jemanden, der sie über die Trennung von Thomas trösten konnte.  Thomas hatte auch in diese Situation mehr hineininterpretiert und dachte bis heute, die beiden wären tatsächlich ein Paar. Da er und Biggi sich seitdem jedoch nie wirklich ausgesprochen hatten, hatte er sie jedoch auch nie darauf ansprechen können und sie ihn niemals vom Gegenteil überzeugt. Somit konnte er natürlich auch nicht wissen, dass Axel verheiratet war, und er und Biggi sich seit einigen Wochen nicht mehr getroffen hatten.

Gabi seufzte, sie erinnerte sich noch so genau an die ganze Geschichte. Zum Teil hatte sie es live miterlebt, den Rest hatte Biggi ihr bis ins kleinste Detail erzählt. Sie glaubte wirklich fest daran, dass die beiden noch eine Chance hatten. Biggi liebte Thomas noch immer und die Notärztin ging fest davon aus, dass auch Thomas’ Gefühle für Biggi sich nicht verändert hatten. Sie kannte ihn schon lange und alleine schon der traurige und zugleich sehnsüchtige Blick, mit dem er Biggi jedes Mal ansah, verriet alles. Warum also sollte es keine zweite Chance für die beiden geben? Gabi hatte jedoch keine Zeit mehr, weiter darüber nachzudenken, denn die Rettungsleitstelle riss sie aus ihren Gedanken: „Rettungsleitstelle für Medicopter 117, mehrere Skifahrer sind in der Nähe von Berchtesgaden von einer Lawine verschüttet worden. Es werden beide Teams gefordert. GPS Koordinaten über Funk.“ Gabi und Biggi stöhnten auf. „Nicht auch noch das…“, meinte Biggi niedergeschlagen. Sie hatte sich so auf den Feierabend gefreut, wollte einfach nur nachhause und ein bisschen ausspannen. Doch es war ihr wieder einmal nicht vergönnt. Gabi reichte ihr die Hand und zog sie von der Bank hoch. „Na komm, die Pflicht ruft.“ So eilte die Pilotin ihrer besten Freundin widerwillig hinterher zum Helicopter, wo alle anderen schon auf sie warteten. Kaum hatte Biggi sich auf den Copilotensitz geschwungen, da hob Thomas auch schon ab. „Ich dachte schon, ihr kommt überhaupt nicht mehr.“, wandte der Pilot sich ein wenig vorwurfsvoll an seine beiden Kolleginnen, wobei er Biggi, die neben ihm saß, ansah. Sie blickte ihn nur böse an, obgleich sie wusste, dass er es nicht böse gemeint hatte, und sah dann aus dem Fenster. Thomas versetzte es einen Stich ins Herz. Er hatte sie nicht verärgern wollen. Doch irgendwie schaffte er dies in den letzten Monaten immer wieder, egal was er tat oder sagte. Biggi warf ihm andauernd nur böse Blicke zu. Der Pilot musste sich eingestehen, dass sie dazu eigentlich auch allen Grund hatte, er wusste, dass sein Verhalten damals unmöglich gewesen und er schuld an ihrer Trennung war, doch die gegenwärtige Situation war trotzdem unerträglich für ihn.

So legten sie den weiteren Flug zu den von der Rettungsleitstelle übermittelten Koordinaten schweigend zurück. „Da vorn muss es sein.“, entdeckte Ralf schließlich, als man aus der Luft bereits einige Leute, die im Schnee standen und dem rotgelben Helicopter zuwinkten, sehen konnte. Es sah wirklich schlimm aus, die Lawine hatte mehrere Skifahrer unter sich begraben und den Helfern vor Ort war es noch nicht gelungen, alle Opfer zu bergen.

Thomas setzte den Medicopter einige Meter weiter auf einem Plateau auf, um nicht in der lawinengefährdeten Zone, wo schon die andere Lawine heruntergekommen war, landen zu müssen. Michael, Gabi, Ralf und Peter nahmen sich sofort ihre Ausrüstung und eilten zum Unglücksort, um die Verletzten zu versorgen. Gonzo hatten sie auch mitgenommen, da er ihnen möglicherweise bei der Suche helfen können würde. Die Helfer vor Ort klärten die Crew darüber auf, dass noch zwei Skifahrer vermisst wurden und sie jetzt etwa eine Viertelstunde verschüttet waren. Alle wussten, dass jede Sekunde zählte, denn bei dieser Kälte und ohne Sauerstoff, hatten die Verschütteten kaum noch eine Chance.

Auch Thomas und Biggi waren den anderen Helfern inzwischen zur Hilfe geeilt, jede Hand wurde nun gebraucht. Nach wenigen Minuten hatten sie den ersten Verschütteten geborgen, er war noch am Leben, aber sein Zustand war bereits bedrohlich. Michael wollte Thomas gerade Bescheid geben, dass er den Patienten, der so schnell wie möglich in eine Klinik musste, ausfliegen sollte, doch da hatte die Bergwacht den Mann bereits übernommen und machte sich mit ihm auf den Weg ins Krankenhaus. Den Medicopter würde man möglicherweise noch für eine Bergung vor Ort benötigen.

So ging die Suche weiter. Jeder beteiligte sich, doch es war als würde man eine Nadel in einem Heuhaufen suchen. Das von der Lawine begrabene Gebiet war riesig und die enormen Schneemassen reichten mehrere Meter in die Tiefe.

Nach weiteren Minuten des Bangens und Hoffens fanden Ralf und Michael schließlich den zweiten Skifahrer. Glücklicherweise war auch er noch am Leben, doch es sah äußerst schlecht aus. Er war stark unterkühlt und der Sauerstoffmangel hatte möglicherweise bleibende Schäden hinterlassen. „Thomas, Biggi, die Trage, schnell!!“, wies Gabriele die beiden Piloten an. Ohne zu zögern eilten die beiden zum Helicopter. An der Heckklappe des Helis hatte Thomas Biggi, die ein paar Meter vorgelaufen war, schließlich eingeholt. Sie öffnete die Tür und Thomas wollte ihr dabei helfen, die Trage herauszuholen. Dabei sahen sie sich plötzlich in die Augen. Sie waren beide wie gefesselt vom Blick des anderen und konnten sich nicht mehr abwenden. Biggi bemerkte den traurigen Ausdruck in Thomas’ graublauen Augen, die sie schon immer so sehr geliebt hatte, und Thomas stellte fest, dass Biggi ihn absolut nicht mehr böse anblickte. Nein, viel mehr… sehnsüchtig…. Sie sahen sich eine ganze Weile einfach nur an, versanken in den Augen des anderen, bis Peters Rufe sie schließlich wieder zurück in die Realität holten. „Wo bleibt ihr denn? Wir brauchen die Trage, und bringt gleich das Sauerstoffgerät mit.“, rief der Sanitäter den beiden Piloten zu. Thomas und Biggi schraken auf und blickten sich ein wenig verlegen an, wussten beide jedoch absolut nicht, was sie sagen sollten. So beugte Biggi sich schließlich in den Heli, um die Trage herauszuholen, während Thomas zur Seitentür ging, um das Sauerstoffgerät zu holen. Gerade als er in den Helicopter gestiegen war, war ein ohrenbetäubender Lärm zu hören. „Achtung!!!“, verhallten noch verzweifelte Warnungsschreie unter dem tosenden Lärm, der immer lauter wurde, doch es war zu spät. Eine riesige Lawine hatte sich von dem Hang gegenüber des Hangs, von dem die letzte Lawine abgebrochen war, gelöst und raste nun mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ins Tal, direkt auf das Plateau zu, auf dem der Helicopter stand. Es ging alles viel zu schnell, Peter, Ralf, Gabi und Michael hatten nicht einmal mehr Zeit dazu, irgendetwas zu sagen geschweige denn ihre Kollegen zu warnen, da hatte die Lawine den Medicopter bereits unter sich begraben und mit ihm Thomas und Biggi. Thomas hatte die Schneemassen wenige Sekunden vorher auf sie zurasen gesehen und es gerade noch geschafft, blitzschnell nach Biggis Hand zu fassen und sie ganz zu sich in den Medicopter zu ziehen. Dann hatten die Schneemassen den Heli auch schon erreicht und rissen ihn mit, sodass er sich mehrmals überschlug und schließlich metertief unter ihnen begraben wurde. Danach herrschte Stille – Totenstille.

Die anderen hatten alles hilflos mit ansehen müssen. „Oh mein Gott….“, brachte Gabi nur leise hervor, während ihr Tränen in die Augen stiegen. Auch die anderen konnten nicht fassen, was sich dort gerade vor ihren Augen abgespielt hatte. Sofort stürzten sie auf die Stelle zu, unter der sie den Medicopter vermuteten. Der Schnee war metertief und es war mühsam voranzukommen, doch sie kämpften sich durch die eisige Kälte Meter für Meter vorwärts. „Such Gonzo, such nach Biggi und Thomas!“, wies Ralf den Golden Retriver an, der sogleich begann im Schnee zu graben. Da die Lawine jedoch eine mehrere Meter dicke Schneedecke zurückgelassen hatte, war es so gut wie aussichtslos für den Rettungshund, eine Spur zu finden. Alle wussten, wenn sie ihre Kollegen nicht in den nächsten Minuten fanden, dann wäre es zu spät. Wenn es das jetzt nicht schon war. Mit den Händen gruben sie wild in dem tiefen, eiskalten Schnee, der kein Ende nehmen wollte. „Ich glaube es war weiter links.“, schrie Peter total aufgeregt. „Nein, es war genau hier.“, widersprach Gabi ihm und grub sogleich weiter. „Das Walkie!“, fiel es Michael dann plötzlich ein. Er zog sein Funkgerät aus der Overalltasche und versuchte damit, seine verschütteten Kollegen zu erreichen. „Biggi, Thomas, könnt ihr mich hören? Bitte antwortet, wenn ihr uns hören könnt! Wir sind gleich bei euch….“, schrie Michael immer wieder in sein Walkie. Doch es kam keine Antwort, nur ein ununterbrochenes Rauschen. „Verdammt, das kann nicht wahr sein!!!“ Noch einmal rief er ins Walkie. Dann gab er jedoch auf, steckte es wieder weg und grub weiter. Sie mussten Thomas und Biggi einfach finden, sie mussten es schaffen und jeder einzelne von ihnen wusste, dass jetzt jede Sekunde zählte. Der Schnee war eiskalt und trotz der dicken Lederhansschuhe, die sie anhatten, spürten sie ihre Finger kaum noch. Hinzu zur Kälte kam noch der Sauerstoffmangel, der für Thomas und Biggi ebenso lebensbedrohlich war.

Als die anderen ihre Kollegen nach fünf Minuten noch immer nicht gefunden hatten, griff nun auch Ralf zu seinem Walkie. „Thomas, Biggi, bitte antwortet uns!!!“ Doch wieder blieb es still am anderen Ende der Leitung.

Gabriele war in Tränen ausgebrochen und Ralf hatte Mühe, sie ein wenig zu trösten. Sie mussten weitersuchen, jede Hand wurde gebraucht. „Und was ist, wenn sie schon….“, schluchzte Gabi verzweifelt. „Daran darfst du nicht einmal denken.“, widersprach Ralf ihr, „Wir werden Biggi und Thomas finden – ganz bestimmt.“ Gabi war nicht wirklich überzeugt von seinen Worten, schließlich hatte sie Erfahrung mit Lawineneinsätzen, bei denen Menschen von den Schneemassen begraben worden waren, und diese Einsätze gingen bei weitem nicht immer gut aus.

Zur selben Zeit schlug Thomas langsam die Augen auf. Sein Kopf schmerzte und im ersten Augenblick wusste er nicht, was passiert war. Vorsichtig hob er den Kopf ein wenig und erblickte dann Biggi neben sich. Und dann die Schneemassen, die den Helicopter, dessen Kanzel ihnen zum Glück einen kleinen Holraum bot, umgaben. Sie waren verschüttetet, das erkannte er sofort. Aber was für ihn jetzt viel wichtiger war, was war mit Biggi? Er setzte sich auf und beugte sich sofort zu ihr. Schnell musste er erkennen, dass sie bewusstlos war. Blut von einer kleinen Platzwunde über ihrem Auge sickerte langsam über ihre Wange. Ganz vorsichtig nahm er ihr den Helm ab, den sie noch immer aufgehabt hatte, und bettete ihren Kopf dann in seinen Schoß. Erleichtert stellte er fest, dass ihr Puls vorhanden war und sie noch atmete. Im nächsten Moment jedoch machte der Pilot eine besorgniserregende Entdeckung. Biggis Bein war unter der Helicopterkanzel eingeklemmt. Der Medicopter lag auf der Seite und das Bein der Pilotin befand sich unterhalb des Knies durch die abgerissene Seitentür heraus außerhalb der Kanzel, sodass ihr Unterschenkel unter der Kanzel eingeklemmt war. Thomas sah sofort, dass es nicht gut aussah, Biggis Overall war unterhalb des Knies zerrissen und durch die offene Wunde an ihrem Unterschenkel konnte er den Knochen sehen. Der Pilot wusste nicht, was er tun sollte. Selbst als medizinischer Laie wusste er, dass Biggi schnellstens in eine Klinik musste. Doch wie sollten sie hier rauskommen? Es mussten Tonnen von Schnee sein, die über ihnen lagen. Glücklicherweise funktionierte zwar die Notbeleuchtung im Heli noch, doch über kurz oder lang würde auch der Sauerstoff in der Kanzel knapp werden. Die einzige Hoffnung waren jetzt die anderen. Hoffentlich würden sie das Medicopterwrack rechtzeitig unter den Schneemassen entdecken.

Thomas’ Sorge um seine Biggi war unendlich, er wusste nicht, was er tun sollte. Plötzlich fiel ihm jedoch das Funkgerät ein. Er nahm sich sein Walkie, das zum Glück unbeschädigt war, aus der Tasche und versuchte, mit den anderen Kontakt aufzunehmen. „Hallo? Könnt ihr mich hören?“ Sein Funkspruch drang tatsächlich zu seinen Kollegen nach oben. „Thomas, bist du ok? Wo seid ihr?“, rief Michael sofort erleichtert in sein Walkie. Auch die anderen, die den Funkspruch ebenso mithören konnten, atmeten auf. „Ich bin ok, Michael, aber Biggi ist verletzt, sie ist bewusstlos und… ihr Bein ist unter der Kanzel eingeklemmt. Ich weiß nicht, was ich tun soll ….“ Thomas’ Stimme bebte vor Angst und Verzweiflung. „Ok, Thomas, bleib ganz ruhig. Kannst du Biggis Bein irgendwie befreien?“ „Negativ, es sieht schlimm aus, Michael. Ihr Bein steckt fast bis zum Knie unter der Kanzel und … man kann durch die Wunde bis auf den Knochen sehen….“ „Ok, Thomas. Sie hat wahrscheinlich eine offene Unterschenkelfraktur. Das einzige, was du jetzt für sie tun kannst, ist sie mit der Aludecke zudecken, damit ihr Körper nicht noch mehr Wärme verliert.“ „Ok“, antwortete Thomas nur mit zitternder Stimme und holte dann die Aludecke aus einem Seitenfach hervor und deckte Biggi damit vorsichtig zu. „Ok, Michael.“ „Gut, dann versuch sie jetzt vorsichtig zu wecken. Solange sie bewusstlos ist, kühlt ihr Körper zu schnell aus, sodass sie erfrieren könnte.“ Thomas klopfte Biggi ganz leicht auf die Wange und versuchte, sie zu wecken. „Hey Süße, du musst jetzt aufwachen… bitte…“ Es dauerte einen Moment, doch schließlich blinzelte Biggi ein wenig und öffnete wenige Sekunden später langsam die Augen. „Thomas“, formte sie mit ihren Lippen und sah ihn an. „Bleib ganz ruhig, Biggi. Streng dich nicht an.“, redete er beruhigend auf sie ein, während er ihr mit der Hand sanft übers Haar strich. „Was ist denn passiert?“, fragte Biggi dann schwach. „Wir sind von einer Lawine verschüttet worden, aber die anderen werden uns hier rausholen. Du hast dir das Bein gebrochen, Biggi, aber das bekommen wir alles wieder hin, versprochen.“, sagte Thomas leise, während sie sich in die Augen sahen. Er hoffte, dass sie die Angst in seiner Stimme nicht bemerkte. Biggi nickte nur leicht. „Bein gebrochen? Es tut gar nicht weh…“, meinte sie dann leise, „Ich bin so müde…“ „Nein Biggi, das geht jetzt nicht, du darfst jetzt nicht einschlafen, du könntest sonst erfrieren, hörst du? Bitte, du musst wach bleiben.“, flehte Thomas unendlich besorgt. „Ok…“, antwortete Biggi ihm nur leise, während er ihre Hand in seine nahm und sie beruhigend streichelte. Dann griff er wieder zu seinem Walkie. „Michael?“ Zunächst war am anderen Ende nur ein Rauschen zu hören, doch dann vernahm der Pilot die Stimme seines Kollegen. „Ich höre dich Thomas.“ „Biggi ist jetzt wach, sie… sie sagt, dass sie keine Schmerzen hat, aber…“, besorgt blickte Thomas zu ihrem Bein. „Das kommt durch den Schock.“, erklärte Michael, der wusste, worauf sein Freund und Kollege hinaus wollte, ihm. „Das Wichtigste ist jetzt, dass sie wach bleibt, sie darf auf keinen Fall einschlafen.“, fügte er dann hinzu. „Ok, aber bitte beeilt euch, ich weiß nicht, wie lange der Sauerstoff hier unten noch ausreicht.“ „Wir sind dabei, aber es wird noch eine Weile dauernd, die Schneedecke ist einfach zu tief. Aber wir beeilen uns, versprochen.“, versicherte der Notarzt ihm. Auch Peter, Ralf und Gabi hatten den Funkspruch mitgehört. Zwar waren sie froh, dass Biggi und Thomas noch am Leben waren und dadurch, dass der Innenraum des Medicopters ihnen einen Holraum bot, im Moment noch genug Sauerstoff hatten, doch die Zeit lief ihnen davon. Die Kälte war eisig und schwächte die beiden Piloten, ebenso wie die Helfer, von Minute zu Minute mehr. Zudem machte allen Biggis Verletzung Sorgen. Vor allem Gabi und Michael als Notärzte wussten, dass die Pilotin schnellstens in ein Krankenhaus musste, damit ihr Bein fachgerecht versorgt werden konnte. Thomas hatte keine Ausrüstung bei sich, da Michael und Gabi den Notfallrucksack und auch die Notarzttasche bei sich hatten, und konnte somit nichts ausrichten außer abzuwarten und zu hoffen, dass sie bald gefunden werden würden.

„Was ist mit meinem Bein?“, fragte Biggi Thomas ernst. Sie hatte mitbekommen, dass etwas nicht in Ordnung war, und da der Schock langsam nachließ, begann sie nun auch die unerträglichen Schmerzen zu spüren. „Du hast eine offene Unterschenkelfraktur, vermutet Michael. Aber wir bekommen das alles wieder hin, Biggi. Versprochen, wir schaffen das.“ Thomas war sich seiner Worte selbst nicht sicher, doch er musste Biggi jetzt irgendwie versuchen zu beruhigen. Zudem hoffte er es so sehr und er wollte nicht, dass Biggi mitbekam, dass auch er nicht wusste, ob alles gut gehen würde. Sie nickte nur leicht. „Es tut so weh…“, meinte sie dann leise und wollte gerade die Augen schließen. Doch Thomas hielt sie wach. „Hey, Biggilein, nicht einschlafen, das war nicht abgemacht, hörst du? Wir müssen noch ein bisschen durchhalten, wir dürfen jetzt nicht aufgeben.“ Biggi blickte ihn an und brachte dann nur ein leises „ok“ hervor. Thomas hätte so gern mehr für sie getan als sie einfach nur in den Arm zu nehmen und zu versuchen, sie zu beruhigen. Wie gern hätte er ihr die Schmerzen genommen und sie einfach nur schnellstens hier raus gebracht. Doch es stand nicht in seiner Macht. Er konnte jetzt einfach nur versuchen, sie zu trösten und ein wenig abzulenken. Das tat er auch und Biggi war ihm unheimlich dankbar dafür. Wäre die Lage nicht so ernst gewesen und abgesehen von den Schmerzen in ihrem Bein, hätte sie es schon fast schön gefunden, allein mit Thomas in diesem Helicopter verschüttet zu sein. Seit vier Monaten waren sie sich nicht mehr so nahe gewesen und sie fragten sich beide insgeheim, warum es immer erst zu einem Unglück kommen musste, bevor man seine Fehler einsah.

Gabi, Peter, Ralf, Michael und die weiteren Helfer suchten noch immer fieberhaft nach dem Helicopterwrack, das unauffindbar blieb. Das Gebiet, das die Lawine unter sich begraben hatte, war einfach zu groß und obgleich sie sich den Standort des Helis gemerkt hatten, half ihnen dies wenig bei der Suche, da die Lawine den Medicopter meterweit mitgerissen hatte. Gabriele dachte die ganze Zeit an ihre beste Freundin, die nun irgendwo, wahrscheinlich meterweit unter ihnen, mit Thomas zusammen eingeschlossen war und dazu noch schwer verletzt. Vor einer Stunde noch hatten sie gemeinsam in der Umkleide gesessen und über Biggis private Probleme geredet und nun war die Pilotin verschüttet und droht zusammen mit Thomas dort unten zu erfrieren, wenn sie sie nicht bald finden würden. Immer wieder schickte Gabi Stoßgebete in den Himmel, genau wie die anderen. Sie hofften alle so sehr, dass sie endlich auf den unter Tonnen von eiskaltem Schnee begrabenen Helicopter stoßen würden, doch es schien aussichtslos. Überall Schnee, nichts als eiskalter, erdrückender Schnee.

„So habe ich es mir immer gewünscht zu sterben…“, meinte Biggi irgendwann zu Thomas und sah ihm in die Augen. Sie lag mit ihrem Kopf noch immer in seinem Schoß und er streichelte ihr liebevoll übers Haar. „Es wäre schön romantisch…“, fügte sie dann hinzu und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. „Du wirst nicht sterben, Biggi! Niemals, das lasse ich nicht zu!“, meinte Thomas entsetzt. Auch seine Kräfte ließen bereits nach, die Kälte wurde immer unerträglicher, doch er wusste, dass sie jetzt nicht aufgeben durften. Biggi erwiderte nichts darauf. Sie schmiegte sich nur an ihn und drückte leicht seine Hand. „Versprich mir, dass du meine Hand halten wirst, wenn….“, bat  sie ihn dann leise. Thomas wollte etwas erwidern. Er würde es niemals zulassen, dass Biggi hier unten in seinen Armen sterben würde. Sie mussten es einfach schaffen, lebend aus dieser Situation herauszukommen. Doch als er gerade etwas sagen wollte, sah Biggi ihm abermals tief in die Augen und meinte dann leise: „Es tut mir, Leid, dass ich dich damals verlassen habe... ich liebe dich, Thomas … und ich habe niemals damit aufgehört.“ Thomas konnte nicht glauben, was Biggi da gerade gesagt hatte. Sie liebte ihn noch immer? Gab es vielleicht doch noch eine zweite Chance für sie? Aber was war mit Axel? Das ließ ihm nun keine Ruhe mehr. „Aber.. was ist mit Axel?“, fragte er schließlich zögernd. Biggi sah ihm noch immer in die Augen. „Mit Axel?“, fragte sie verwundert. „Ich meine, ihr seid doch zusammen?“ „Axel und ich?“, Biggi musste trotz den Schmerzen und der ernsten Lage, in der sie sich befanden, ein weinig schmunzeln. „Du dachtest wirklich, dass Axel und ich zusammen wären?“, wollte sie ungläubig wissen. Thomas nickte und sah sie unverständlich an. „Mensch Thomas, zwischen Axel und mir ist nie etwas gelaufen. Ich habe ihn seit Wochen nicht mehr gesehen.“, versicherte Biggi ihm. „Oh Mann, ich bin so ein Idiot…“, brachte Thomas nur noch hervor. Er konnte es noch immer kaum glauben, dass er sich so in die Situation hineingesteigert hatte. Wie war überhaupt darauf gekommen, Biggi wäre mit Axel zusammen? Immerhin hatte er kein einziges Mal gesehen, wie sie sich geküsst hatten. Er hatte es einfach nur vermutet und sich dann so sehr in diesen Verdacht hineingesteigert, dass er wirklich fest davon ausgegangen war. Biggi lächelte schwach. Sie fasste mit ihrer Hand nach seinem Gesicht und strich ihm zärtlich über die Wange. „Ich habe immer nur dich geliebt, Thomas. Du warst immer der einzige…“ „Oh Biggi….“, meinte Thomas nur leise, dann beugte er sich ganz nah über sie, bis ihre Lippen sich schließlich sanft berührten und sie in einem zärtlichen Kuss versanken. Es war ein unglaublich langer und inniger Kuss und sie wollten überhaupt nicht mehr voneinander ablassen. Die letzten vier Monate lang hatten sie die Nähe des anderen wahnsinnig vermisst und trotz der Lage, in der sie sich befanden, verspürten sie in diesem Augenblick einfach nur dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, einander endlich wiederzuhaben. Sie vergaßen für einen Moment lang alles um sich herum und spürten nur noch ihre unheimlich große Liebe zueinander, die sie so viele Wochen lang nicht ausleben hatten können. Als sie schließlich langsam wieder voneinander abließen, lächelten sie sich an. „Es tut mir so Leid, Biggi. Bitte verzeih mir, ich war so ein Idiot…“, sagte Thomas dann, während er ihr sanft über die Wange strich. „Ich habe dir schon lange verziehen, Thomas…Ich liebe dich…“, flüsterte Biggi nur lächelnd und sah ihm noch einmal tief in die Augen. Dann schloss sie langsam die Augen und wurde bewusstlos. „Biggi nein, komm, nicht einschlafen, Süße!“, versuchte Thomas verzweifelt, sie wieder zu wecken, jedoch ohne Erfolg. „Biggi bitte, lass mich jetzt nicht im Stich, nicht jetzt. Ich brauche dich doch.“ Biggi jedoch blieb weiterhin bewusstlos. Sie hatte einfach keine Kraft mehr und ihre Verletzung und der dadurch entstandene Blutverlust schwächten ihren Körper noch zusätzlich zur Kälte. „Michael!“, schrie Thomas verzweifelt in sein Walkie. „Thomas, wir sind nah dran, aber ein bisschen brauchen wir noch.“ „Biggi ist bewusstlos geworden. Sie hält das nicht mehr lange durch.“, berichtetet der Pilot seinem Kollegen total in Panik, „Beeilt euch, bitte…“ Die Sorgen um seine Biggi machten ihn vollkommen fertig und er wusste nicht mehr, was er tun sollte. „Wir tun, was wir können. Aber ihr dürft jetzt nicht aufgeben, hörst du?“, versuchte Michael seinem Freund Mut zuzusprechen. „Du musst jetzt in regelmäßigen Abständen Biggis Puls und ihre Atmung kontrollieren. Gib uns sofort Bescheid, falls sich ihr Zustand verschlechtern sollte.“, wies Gabriele, die alles mitgehört hatte, Thomas dann an. Auch sie machte sich große Sorgen um Biggi. „Versprecht mir, dass ihr uns hier rausholt. Bitte!! Versprecht mir, dass wir Biggi retten werden, versprecht es mir!“, flehte Thomas seine Kollegen total verzweifelt an. „Ich verspreche es dir, Thomas, ich verspreche es dir. Es wird alles gut.“, versicherte Michael ihm und versuchte den total verzweifelten Thomas ein wenig zu beruhigen, obgleich er natürlich nicht wissen konnte, ob sie es tatsächlich schaffen würden. Seine Bemühungen zeigten jedoch wenig Erfolg. Thomas machte sich schreckliche Sorgen um seine Biggi, die noch immer bewusstlos in seinen Armen lag. Und Rettung war noch nicht in Sicht. Er wollte überhaupt nicht daran denken, dass es noch Stunden dauern könnte, bis die anderen sie finden würden, und es dann wohl möglich zu spät wäre. Das durfte einfach alles nicht wahr sein. Gerade jetzt, wo alles endlich wieder gut zu werden schien zwischen Biggi und ihm. Er wollte doch einfach nur mit ihr zusammen wieder glücklich werden, genauso wie sie es vor vier Monaten noch gewesen waren.

Inzwischen wurden Gabi, Ralf, Peter, Michael, Gonzo und die anderen Helfer von zwei weiteren Rettungsteams unterstützt. Der Helicopter aus Rosenheim war ebenfalls angefordert worden, da Michael die Rettungsleitstelle darüber informiert hatte, dass eine der vermissten Personen schwer verletzt sei. Durch die Tatsache, dass Thomas und Biggi sich im Helicopter befanden, hatten sie zwar ein wenig Zeit gewonnen, da die Sauerstoffversorgung somit noch keine Probleme bereitete, doch alleine schon die eisige Kälte war lebensbedrohlich.

„Meinst du, wir finden sie noch rechtzeitig?“, fragte Gabi Ralf verzweifelt. Natürlich konnte auch er es nicht wissen, doch sie durften jetzt nicht aufgeben. „Ich bin mir sicher, irgendwo müssen sie schließlich sein und wir haben schon fast das ganze Gebiet durchforstet.“ Er nahm sie in den Arm und versuchte ihr, wieder Hoffnung zu machen, und irgendwie gelang ihm das auch. Sie glaubte ihm und meinte schließlich: „Komm, wir müssen weiter suchen. Wir müssen sie finden – das sind wir ihnen schuldig!“ Ralf nickte und so gruben sie weiter.

Inzwischen waren schon über zwanzig Helfer vor Ort, die nach den beiden vermissten Piloten suchten. Der andere Patient, den das Team eigentlich hätte ausfliegen sollen, war schon längst von einer anderen Rettungsstaffel übernommen worden. Alle konzentrierten sich nur noch darauf, den verschütteten Medicopter endlich aufzuspüren. Sie hatten wirklich schon fast das ganze Gebiet durchkämmt, jedoch ohne Erfolg und mit jeder Minute, die verging, schwanden die Chancen, Thomas und Biggi lebend zu finden.

„Ich glaube, Gonzo hat etwas gefunden!“, schrie Ralf dann plötzlich. Sofort stürmten alle zu der Stelle, an der Gonzo begann, im Schnee zu graben. Sie klammerten sich an jeden Funken Hoffnung, auch wenn er noch so klein war. Doch dieses Mal wurden sie nicht enttäuscht. Gonzo hatte tatsächlich etwas entdeckt. „Braver Gonzo….“, lobte Ralf seinen Hund und grub dann sofort an der Stelle, an der Gonzo angeschlagen hatte, mit den Händen weiter. Tatsächlich war es ein Teil des vermissten Helicopters, es war eines der Rotorblätter, das von dem Medicopter abgebrochen war, als er sich überschlagen hatte. „Gleich sind wir bei euch.“, informierte Michael Thomas hoffnungsvoll. Dieser atmete erleichtert auf. Er selbst war durch die Kälte ebenfalls schon ziemlich geschwächt und wusste, dass es höchste Zeit war, dass die anderen sie hier rausholten. Am schlimmsten waren jedoch seine Sorgen um Biggi. Die ganze Zeit redete er leise mit ihr, hielt ihre Hand und strich ihr mit der anderen Hand sanft über die Wange, während er immer wieder ihren Puls und ihre Atmung überprüfte. Sie kam zwar nicht wieder zu Bewusstsein, doch Thomas war schon dankbar dafür, dass sich ihr Zustand nicht noch weiter verschlechterte.

Langsam bemerkte der Pilot jedoch, dass der Sauerstoff begann knapp zu werden. Glücklicherweise hatten sie noch das Sauerstoffgerät, das Biggi, bevor sie von der Lawine verschüttet waren, aus dem Helicopter holen wollen hatte. Thomas drehte die Sauerstoffflasche auf und legte Biggi dann vorsichtig die Sauerstoffmaske um. Er selbst nahm ebenfalls einen Atemzug aus der Sauerstoffmaske, wenn es gar nicht mehr anders ging. In seiner Sorge um sie überließ er den größten Teil des Sauerstoffs jedoch Biggi. „Beeilt euch, der Sauerstoff wird knapp…“, flehte er seine Kollegen, die noch immer weiter gruben und versuchten die Kanzel des Medicopters zu finden, an. Bevor sie ihm jedoch antworteten, hörte der Pilot ein Geräusch. Es wurde immer deutlicher, kam immer näher und es musste von oben kommen. „Ich kann euch hören.“, rief er freudig ins Funkgerät. Er konnte es noch gar nicht ganz fassen, die anderen trennten wirklich nur noch wenige Meter von der Medicopterkanzel. „Wir sind gleich bei euch.“, informierte Peter seinen Kollegen erleichtert. Im nächsten Moment stieß Ralf auch schon auf ein Stück der rotgelben Karosserie einer BK 117, die ihm sehr bekannt vorkam. Dann ging alles ganz schnell. In wenigen Augenblicken war es ihnen gelungen, den Helicopter soweit frei zu graben, dass sie die Schiebetür an der Seite des Helis, die nun nach oben zeigte, da er auf der Seite lag, öffnen konnten.

„Na endlich, Gott sei Dank.“, brachte Thomas nur noch hervor, als Michael und Gabi schließlich zu ihren beiden Kollegen in den Innenraum des Helicopters hinab stiegen. Ralf reichte ihnen den Notfallrucksack runter und die beiden Notärzte begannen sofort damit, Biggi zu versorgen. Peter und Ralf wollten währenddessen Thomas schon einmal aus der Kanzel hinaus helfen. Auch er war schließlich geschwächt durch die Unterkühlung. „Thomas, Ralf und Peter werden dich nach oben bringen, wir kümmern uns um Biggi.“, beschloss Michael. Doch Thomas weigerte sich sofort. „Das kommt gar nicht in Frage, ich werde nicht ohne Biggi gehen.“, sagte er entschlossen. „Sei vernünftig, du kannst jetzt nichts für sie tun.“, versuchte auch Peter seinen Kollegen zu überzeugen, doch der Pilot blieb stur. Die bewusstlose Biggi lag noch immer mit ihrem Kopf auf seinem Schoß und er hielt ihre Hand fest umklammert, während Gabriele und Michael ihr zwei Infusionen zur Kreislaufstützung verabreichten und sie ans EKG anschlossen. Dann sahen sich die beiden Notärzte Biggis Bein an. Michael musste feststellen, dass er mit seinem Verdacht richtig gelegen hatte, es deutete alles auf eine offene Unterschenkelfraktur hin. Das größte Problem war jedoch, dass sie Biggis Bein nicht unter der Kanzel herausziehen und die Pilotin somit nicht befreien konnten, da sich unter ihrem Bein ein Felsen befand und ein Ausgraben somit unmöglich war. Zum Glück war jedoch der Helicopter aus Rosenheim vor Ort und Ralf hatte schließlich die rettende Idee. „Wir müssen mit dem anderen Helicopter die Kanzel anheben, dann könnt ihr Biggis Bein herausziehen.“ „Ok“, Michael und Gabi stimmten dem Vorschlag ihres Kollegen zu, es war zwar riskant, doch sie hatten keine andere Möglichkeit. Noch einmal versuchten Gabi und Michael, Thomas davon zu überzeugen, dass Biggi in guten Händen war und er sich in Sicherheit bringen sollte, doch wieder ohne Erfolg. Am liebsten hätte er sie nie wieder auch nur eine Sekunde allein gelassen und schon gar nicht jetzt.

Wenige Minuten später schwebte der Rosenheimer Helicopter über dem Medicopterwrack und ließ seine Seilwinde ab, sodass Ralf und Peter den Harken an der Medicopterkanzel befestigen konnten. Dann gaben sie dem Piloten aus Rosenheim das Signal zum Hochziehen. Ganz langsam, Millimeter für Millimeter hob sich die Kanzel des Medicopterwracks an. Die Alarmleuchten, die auf eine Überbelastung der Winde hinwiesen, blinkten oben im Heli bereits rot auf, doch der Pilot versuchte alles aus der Maschine rauszuholen und hob die Kanzel schließlich noch ein paar Zentimeter an, sodass es Gabriele und Michael gelang, Biggis Bein zu befreien.

„Nun aber ab mit uns.“, meinte Gabi, nachdem sie und Michael Biggis Fraktur notdürftig versorgt hatten. „Ihr Bein wird doch wieder, oder?“, fragte Thomas seine beiden Kollegen besorgt. „Ich denke schon.“, beruhigte Michael ihn. Dann brachten sie Biggi mit Peters und Ralfs Hilfe aus dem Medicopterwrack nach oben und legten dort auf die Trage des Rosenheimer Helicopters. „Wir bringen Biggi jetzt in die Marienklinik und du lässt dich dort auch durchchecken.“, wies Michael Thomas an. Dieser nickte nur. Er war so unendlich froh, dass die anderen sie gefunden hatten und sie es nun fast geschafft hatten.

Biggi wurde zum Helicopter gebracht, wobei Thomas keinen Schritt von ihrer Seite wich. Er setzte sich auf die kleine Bank neben der Trage und hielt weiterhin Biggis Hand. Immer wieder strich er ihr liebvoll übers Haar und versicherte ihr, dass jetzt alles wieder gut werden würde.

Die anderen hatten beschlossen, dass Michael mitfliegen würde und Ralf, Gabi und Peter dann in die Klinik nachkommen würden. Als der Notarzt endlich eingestiegen war und sich neben Thomas auf die Bank gesetzt hatte, hoben sie ab und flogen auf dem schnellsten Weg zur Marienklinik.

Bereits zehn Minuten später landeten sie auf dem Dachlandeplatz der Klinik, wo bereits ein Ärzteteam bereit stand, das Biggi sofort in den OP brachte. Thomas wollte mit, doch an der Tür, hielt Michael ihn am Arm zurück, sodass er schließlich widerwillig Biggis Hand loslassen musste und ihr wehmütig nachsah, bis sich die Tür geschlossen hatte. „Du kannst da jetzt nicht rein. Sie werden Biggis Bein jetzt operativ versorgen, danach kannst du zu ihr. Im Moment kannst du nichts für sie tun. Aber du hast selbst eine Unterkühlung und solltest dich auf jeden Fall gründlich durchchecken lassen.“ Das sah Thomas schließlich doch ein und ließ sich von Michael in den Untersuchungsraum begleiten. Erst jetzt merkte er, wie erschöpft er eigentlich selbst war. Seine Gedanken waren jedoch immer noch bei Biggi. „Sag mir die Wahrheit, Michael…wird es gut gehen?“, fragte er seinen Freund, der dies als Arzt natürlich in etwa einschätzen konnte, besorgt. „Eine Sicherheit dafür kann niemand geben, aber ich denke, die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie wieder ganz gesund wird. Mach dir nicht allzu viele Sorgen, hm?“, beruhigte Michael ihn. Thomas nickte nur und ließ dann die Vielzahl von Untersuchungen über sich ergehen. Sorgen um Biggi  machte er sich trotzdem noch.

„Sie haben noch einmal Glück gehabt, Her Wächter, außer der Unterkühlung, fehlt Ihnen nichts. Da sich Ihre Körpertemperatur inzwischen allerdings wieder im Normalbereich befindet, denke ich, können wir auf eine stationäre Behandlung verzichten.“, informierte der diensthabende Arzt Thomas über das Untersuchungsergebnis. „Danke.“, meinte er nur erleichtert und begab sich dann zusammen mit Michael wieder auf den Flur. Dort warteten Ralf, Gabi und Peter bereits. „Und, gibt es schon irgendetwas Neues von Biggi?“, wollte Thomas sofort von den Kollegen wissen. „Thomas, sie wird gerade einmal eine Stunde operiert, so eine OP kann mehrere Stunden dauern, das ist ganz normal.“, beruhigte Michael seinen Freund. Peter, Ralf und Gabi konnten da nur zustimmen. Thomas nickte nur. Er hasste diese Ungewissheit. Was, wenn doch etwas schief gehen würde?

Auch die anderen warteten ungeduldig auf das Ende der Operation. Sie hatten sich alle auf zwei kleine Bänke vor dem OP-Bereich gesetzt, damit sie es sofort erfuhren, falls es etwas Neues gab. Sie mussten jedoch noch weitere zwei Stunden warten, bis endlich der Oberarzt, der Biggi operiert hatte, erschöpft aus dem OP kam. „Und, was ist mit ihr? Ihr Bein wird doch wieder ganz ok, oder?“, fragte Thomas sofort, er hielt diese Ungewissheit jetzt einfach nicht mehr aus. „Wir haben getan, was wir konnten, die Fraktur haben wir mit Hilfe von zwei Schrauben gerichtet und auch die Wunde ist versorgt. Wir werden in ein paar Wochen noch einmal operieren müssen und natürlich kann man bei einer so schweren Verletzung nie hundertprozentig sichere Prognosen abgeben, aber Ihre Kollegin ist noch jung und ich denke, sie hat sehr gute Chancen, wieder ganz gesund zu werden.“ Thomas, Michael, Peter, Gabi und Ralf fielen sich glücklich und unendlich erleichtert in die Arme. Sie hatten es tatsächlich geschafft, Biggi würde wahrscheinlich wieder ganz gesund werden. „Dürfen wir zu ihr?“, wollte Thomas dann aber endlich wissen. Er wollte seine Biggi jetzt endlich sehen und er wollte da sein, wenn sie aufwachte. „Sie wird erst in etwa einer halben Stunde aus der Narkose erwachen, aber wenn Sie unbedingt möchten, kann ich Sie jetzt schon zu ihr bringen.“, antwortete der Oberarzt. Thomas nickte dankbar und folgte ihm dann zu Biggis Zimmer. Gabi, Michael, Ralf und Peter waren sich einig, dass es wohl besser war, Thomas erst einmal allein zu Biggi gehen zu lassen. Sie würden am nächsten Tag schließlich noch genug Zeit haben, ihre Kollegin zu besuchen.

Thomas trat langsam in Biggis Krankenzimmer ein. Sie lag in dem Bett am Fenster, das andere war leer. Langsam ging er auf ihr Bett zu, nahm sich den Besucherstuhl und setzte sich dann ganz nah zu ihr. Ihr Bein war bis übers Knie in einen weißen Gipsverband eingehüllt und über einen Zugang an der Hand bekam sie zwei Infusionen mit Schmerzmitteln. Thomas fasste nach ihrer Hand und beobachtete sie dann lächelnd, wie sie dort lag und friedlich schlief. Er hätte noch Stunden damit fortfahren können. Sie sah so wunderschön aus, immer schon, fand er, doch ihm war klar geworden, dass er sie heute beinahe verloren hätte – für immer. Er war so froh, dass es noch einmal gut ausgegangen war und vor allem darüber, dass er und Biggi sich nun endlich gestanden hatten, dass sie einander nie vergessen konnten und immer noch über alles liebten. Vielleicht war dieser Unfall Schicksal gewesen, um die beiden wieder zusammenzuführen? Er wusste es nicht und es würde auch niemals eine Antwort auf diese Frage geben, doch für Thomas war nur eins wichtig: Dass er seine Biggi wieder hatte. Er beugte sich langsam ganz nah zu ihr und küsste sie dann sanft auf die Stirn. „Ich liebe dich.“, flüsterte er und strich ihr zärtlich mit der Hand über die Wange. Wenige Augenblicke später spürte er, wie sich Biggis Hand, die noch immer in seiner lag, leicht bewegte. Dann begannen ihre Augenlieder ein wenig zu zucken und sie schlug langsam die Augen auf. Im ersten Moment wurde sie durch das grelle Deckenlicht ein wenig geblendet, doch dann wandte sie ihren Kopf leicht zur Seite und erblickte Thomas an ihrem Bett sitzen. „Thomas“, flüsterte sie leise, während sie seinen Händedruck erwiderte. Sie war noch ein wenig müde von der Narkose, die nun ihre Nachwirkungen zeigte. „Ich bin da, Biggi, ich bin da, jetzt wird alles gut.“, versicherte der Pilot ihr lächelnd. „Was ist mit meinem Bein?“, wollte Biggi dann wissen. Trotz der Schmerzmittel, die sie bekam, waren die Schmerzen noch nicht ganz verschwunden, wenn auch schon viel weniger geworden. „Sie werden es noch einmal operieren müssen und du wirst wahrscheinlich noch eine Zeit lang in der Klinik bleiben müssen, aber es sieht sehr gut aus für dich, die Ärzte sind optimistisch. Außerdem werde ich dich jeden Tag besuchen kommen.“, versprach Thomas ihr. Biggi lächelte zufrieden. „Danke, Thomas…für alles.“, sagte sie leise. Er lächelte sie nur verliebt an und strich ihr liebvoll übers Haar. „Es tut mir alles so Leid wegen damals… dass ich dich verlassen habe….“, begann sie dann. Thomas legte ihr jedoch sanft den Finger auf die Lippen. „Psssst“, meinte er lächelnd, „Schlaf jetzt, mein Liebling, und ruh dich ein wenig aus. Ich werde bei dir sein, wenn du aufwachst.“ Biggi lächelte glücklich. Sie zog Thomas langsam zu sich, bis sich ihre Lippen schließlich sanft berührten und sie sich zärtlich küssten. Dann schloss sie erschöpft, aber noch immer mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht die Augen und schlief zufrieden ein. Sie wusste, dass jetzt alles wieder gut war zwischen ihnen.

 

The End



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